Diese Beständigkeit des Buches ist allerdings niemals mit dem Statischen zu verwechseln. Kaum ein Gegenstand zeigt Veränderung so deutlich wie ein Notizbuch – und zwar am Objekt und im Denken. Verschiedenste Spuren, Kaffee und Wein, Schmutz und Regen, die sich ins Material prägen und eine ganz individuelle Patina erzeugen, erzählen von seinem Gebrauch, von Entwicklung und Veränderung. Und nicht nur äußerlich, sondern auch was ihren Inhalt betrifft, sind Notizbücher durchaus dynamisch angelegt. Werden Texte am Laptop zerstückelt, hin und her geschoben, stetig überarbeitet, optimiert, vollendet, um schließlich, überspeichert, perfekt da zu stehen, zeugt die Unmittelbarkeit des geschriebenen Wortes, die jede manuelle Verbesserung, jede herausgerissene Seite, jeden durchgestrichenen Buchstabe konserviert, vom andauernden Prozess des Denkens.
Handschrift schlägt Zehnfinger-System
Beim erneuten Durchblättern offenbaren sich nicht selten versteckte Zusammenhänge und vergessene Erinnerungen. Arbeitsvorgänge haben so eine ganz eigene Form der Gegenwärtigkeit und Sichtbarkeit. Dabei passt gerade die Chronologie als „natürliches“ Ordnungssystem ideal zur zeitlinearen Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Informationen lassen sich so auch intuitiv erstaunlich leicht finden. Noch dazu verankern sich analog Geschriebenes und Gezeichnetes ohnehin – wie allerei Studien beweisen – besser und langfristiger im Kopf. Denn schon im ersten Arbeitsschritt wird gefiltert, gewichtet und strukturiert.
Das Notizbuch wird missverstanden, begreift man es als vordigitales Phänomen und verdammt es damit zu einem tristen Dasein als austauschbares Vintage-Accessoire oder letzte Alternative für konservative TechnikverweigererInnen. Monoton-Monochromes passt genauso wenig wie pseudo-hipper Retro-Chic zu einem so vielseitigen Instrument unserer Zeit: Achtsamkeits- und Selbstfindungshilfe, Tagebuch und persönlicher Begleiter, Ideenspeicher und Inspirationsträger, Lernwerkzeug und Experimentierfeld, innovativ und altbewährt, lebendig und beruhigend, individuell und universal zugleich – ein zentrales Tool für das Hier und Jetzt eben.